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  • 13. August 2018 — Sechs Fragen, sechs Antworten

    Biblioteca Casanatense, Rom

    Herr Knoche, historisch gesehen waren Bibliotheken immer dafür zuständig, Wissen zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Heute macht das Internet der Öffentlichkeit Wissen jederzeit und überall zugänglich. Trotzdem stellen Sie in Ihrem Buch die These auf, dass die Idee der Bibliothek nach wie vor unbedingt notwendig sei. Warum braucht es aus Ihrer Sicht auch in der Zukunft weiterhin analoge Bibliotheken?

    Internet und Bibliothek sind kein Gegensatz. Wenn man schnell Auskunft über bestimmte Fakten braucht, ist das Internet das geeignete Medium. Aber vieles gibt es gar nicht digital, oder es gab es mal und ist wieder verschwunden, anderes ist hinter Bezahlschranken versteckt. Daher braucht es Bibliotheken. Sie stellen das gesamte Spektrum an Medien bereit: Bücher, elektronische Zeitschriften, Musiknoten, Bildbände und Datenbanken, kurzum: alles von Relevanz für Wissenschaft, Bildung und demokratische Öffentlichkeit. Bibliotheken als physische Orte bieten einen geordneten Überblick über dieses Spektrum, Beratung, Möglichkeiten zur Interaktion mit anderen, Inspiration.

    Geschichte und Diskurse finden aber heute zusehends in sozialen Netzwerken statt, auch weltgeschichtlich relevante Ankündigungen – dafür reicht ein Blick in den Twitter-Account von Donald Trump. Wäre es nicht die Aufgabe von Bibliotheken, diese für die Recherche und die Nachwelt bereitzustellen, auch analog?

    Wenn die Bibliotheken damit anfingen, auch die Kommunikation der Menschen zu dokumentieren, würden sie ihren Zweck verfehlen. Sie sind ja keine gewaltigen Spiegelbilder unseres alltäglichen Lebensvollzugs. Bibliotheken konzentrieren sich auf Wissen, das einen gewissen Reifegrad erreicht hat und z.B. in Buchform oder in seriösen elektronischen Quellen vorliegt. Ihr Objekt ist die Publikation, nicht die Kommunikation. Übrigens werden die Twitter-Meldungen von Donald Trump von den National Archives and Records Administration, Washington D.C., gespeichert.

    In Ihrem Buch formulieren Sie die These, dass die Idee der Bibliothek durch die elektronischen Medien nicht gefährdet, sondern – ganz im Gegenteil –, noch machtvoller werde. Inwiefern unterstützen elektronische Medien die Macht der Bibliothek?

    Na ja, Macht ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber Bibliotheken besetzen eine Lücke, um die sich sonst niemand kümmert: das Problem der dauerhaften Zugänglichkeit aller Medien, sowohl der gedruckten Überlieferung, als auch der digitalen Publikationen. Jedenfalls interessiert das die Hersteller nur in zweiter Linie. Bibliotheken haben dafür zu sorgen, dass das Wissen umfassend, neutral, verlässlich und weitgehend kostenfrei zugänglich bleibt, auch langfristig. Kann man sich im Ernst eine Gesellschaft vorstellen, zumindest eine, in der man leben möchte, die dies für verzichtbar hält?

    Sollten Bibliotheken sich in Zukunft weiterhin auf Bücher und klassische Print-Datenträger beschränken oder müssen sie, wie beispielweise das Goethe-Institut in Bratislava, neben Büchern auch andere Gegenstände zum Ausleihen bereitstellen, wie z.B. Kinderspielzeug?

    Aber Bibliotheken beschränken sich schon lange nicht mehr auf gedruckte Bücher! Sie ergreifen nicht Partei für das eine und gegen das andere Medium. Sie sollten sich aber auf Medien des Wissens beschränken. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Ansonsten besteht die Gefahr, sich zu verzetteln.

    Blicken wir einmal jenseits der Debatte um die Digitalisierung: Sie plädieren für Bibliotheken in einem System, für eine Vernetzung untereinander. Dies ist mit der Fernleihe aber doch beispielsweise schon gegeben. Was haben die Bibliotheken und deren Nutzer von dem geforderten Bibliothekssystem?

    Keine Bibliothek kann angesichts der Fülle des produzierten Wissens ohne das Netzwerk anderer Bibliotheken auskommen. Wir leben nicht mehr im 18. Jahrhundert, wo man vielleicht noch hoffen konnte, dass eine Bibliothek alle für ein bestimmtes Fachgebiet relevante Publikationen vorrätig hält. Das Wissen ist heute global unterwegs, sodass sich Bibliotheken abstimmen müssen, wer sich um was kümmert. Es fehlt in Deutschland eine kluge Koordinierung durch die Politik. Die Bibliotheken gehören meist den Bundesländern oder den Städten. Im Bund gibt es keine Instanz, die den Anstoß zu gemeinsamer Planung und Zusammenarbeit gibt. So werden die Gemeinschaftsaufgaben vernachlässigt, und eine Arbeitsteilung unter den Bibliotheken findet viel zu wenig statt. Die einzelnen Nutzer würden davon profitieren, wenn die Bibliotheken im System leistungsfähiger würden.

    In der Wirtschaft spricht man gerne von »Best-Practice-Beispielen«, wenn etwas besonders gut und nachahmenswert erscheint. Wie sieht dies in der Bibliothekslandschaft aus: Wer ist da deutschland- und weltweit für Sie ein Musterschüler?

    In Deutschland macht die Bayerische Staatsbibliothek z.B. eine sehr gute Arbeit. International ist die Library of Congress in Washington D.C. vielleicht die stärkste Bibliothek. Aber nicht nur die ganz Großen, auch die innovativen spezialisierten Bibliotheken sind wichtig. Wenn man mir den Hinweis in (ehemals) eigener Sache nicht übelnimmt: Ich finde, dass auch die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar beachtenswert ist. Mein Tipp: Gehen Sie in jede Bibliothek hinein, die Ihnen in die Quere kommt und interessant erscheint. Bibliotheken sind öffentlich. Schauen Sie sich um! Wenn Sie lange keine Bibliothek mehr von innen gesehen haben, werden Sie staunen, wie sehr sich Bibliotheken gewandelt haben und was sie alles zu bieten haben.

    Die Fragen stellte Franziska Sieb für das Murmann-Magazin

    Michael Knoche