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  • 29. Oktober 2018 — Die Bibliothek der Vanderbilt University in Nashville TN auf dem Weg nach oben

    Central Library Vanderbilt University aus dem Jahr 1941

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    Die Vanderbilt University in Nashville TN gehört zu den angesehensten und reichsten Privatuniversitäten des Landes. An ihr werden mehr als 12.000 Studenten ausgebildet. Sie ist stolz auf sechs Nobelpreisträger in ihren Reihen, darunter Al Gore und Max Delbrück. Im Ranking der US-Hochschulen steht sie an 14. Stelle. Aber das Bibliothekssystem der Universität (Jean und Alexander Heard Libraries) liegt im Ansehen zurück und nimmt nur Platz 49 unter ihresgleichen ein. Eine Diskrepanz, die als Herausforderung empfunden wird, so fragwürdig die Bewertungskriterien der Ranglisten auch sein mögen.

    Die Zentralbibliothek liegt mitten auf dem mit alten und seltenen Bäumen bepflanzten idyllischen Campus und ist umgeben von zahlreichen Institutsgebäuden im neogotischen Stil des 19. Jahrhunderts. Das ansehnliche Gebäude stammt aus dem Jahr 1941 und wurde inzwischen erweitert und renoviert. Trotzdem wirkt es im Innern labyrinthisch, sobald man sich aus den weiträumigen Lesesälen in die Buchbereiche, genauer gesagt, in die offenen Magazine, begibt.

    Wie in der alten Bibliothèque nationale in Paris bewegt man sich in einem mehrgeschossigen Stahlskelettbau mit niedriger Deckenhöhe und ohne natürliche Belichtung. Da die Bücherregale konstruktive Bedeutung für den Bau haben, kann nichts Wesentliches verändert werden. Zwar findet der Leser alles, was er sucht. Die Bücher sind feinsystematisch nach der Library of Congress Classification aufgestellt. Aber die Atmosphäre ist die eines Lagerhauses, aus dem man schnell wieder ins Freie kommen möchte. Im Magazin gibt es auch Arbeitsplätze für sehr asketische Leser, sogenannte Carrels, die mit ihren Gittertüren an Gefängniszellen erinnern. Einige sind aus nostalgischen Gründen so belassen, wie sie sind, die meisten sind inzwischen etwas ansprechender gestaltet.

    Kein Wunder, dass die Bibliothek großen Wert auf elektronische Publikationen legt, zumal die Stellfläche für Bücher im Zentralgebäude schon lange erschöpft ist und große Teile des Bestands ausgelagert sind. Etwa Dreiviertel des Erwerbungsetats wird für Digitales ausgegeben. Die Leiterin des Bibliothekssystems, Professor Valerie Hotchkiss, eine Frühneuzeithistorikerin, legt dennoch Wert darauf, den Geisteswissenschaften alle gedruckten Bücher zur Verfügung zu stellen, die sie für Lehre und Forschung benötigen. Auch die Sondersammlungen möchte sie weiter pflegen und nennt zwei originelle Sammelgebiete, die es so nur an Vanderbilt gibt: Fiktionale Literatur, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, und Theorie und Praxis des Spiels.

    Vor drei Jahren hat sich ein universitätsinternes Komitee gebildet, das das Bibliothekssystems an Vanderbilt evaluiert hat. Professoren und Bibliothekare haben z.T. in gemeinsamen, z.T. getrennten Arbeitsgruppen ihre Bewertungen und Wünsche für eine Universitätsbibliothek der Zukunft formuliert. Herausgekommen ist ein bemerkenswert substantielles und unpolemisches Papier, das auf der Website der Bibliothek veröffentlicht ist.

    Zu den Forderungen des Komitees gehört, dass die Bibliothek mit höheren Mitteln für Erwerbungen und für Personal ausgestattet werden muss. Vor allem muss die Bibliothek aus Sicht der Evaluationsgruppe qualitativ hochwertige Räume für Studenten, Forschung und Zusammenarbeit anbieten können. Die letzte Renovierung der Zentralbibliothek im Jahr 2010 wird als nicht ausreichend betrachtet.

    Wie attraktiv Bibliotheken an der Vanderbilt aussehen können, zeigt sich z.B. in der Eskind Biomedical Library. Da ist die Integration der Bücher, Medien und sogar von Kunstwerken und wissenschaftlichen Artefakten in die Arbeitsumgebung perfekt gelungen. Eine solche Aufenthaltsqualität muss auch die Zentralbibliothek erreichen, will sie die Ranking-Differenz zwischen Platz 14 und Platz 49 eines Tages überwinden. Die Entschlossenheit dazu ist allenthalben spürbar. Eigentlich ist es egal, was den Willen zur Optimierung herausfordert.

    https:/​/​www.library.vanderbilt.edu/​

    Michael Knoche