Abschied 2016 (Foto: Welz, Klassik Stiftung Weimar)

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  • 22. Oktober 2018 — Der denkwürdige 24. Oktober in den Jahren nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

    Fernsehsendung auf Arte am 24. Oktober 2007

    Seit der Umbenennung der Zentralbibliothek der deutschen Klassik in Herzogin Anna Amalia Bibliothek im Jahr 1991 war der 24. Oktober, der Geburtstag von Anna Amalia, für die Bibliothek immer ein besonderes Datum. Hinzu kommt, dass seit eh und je am 24. Oktober in ganz Deutschland der Tag der Bibliotheken begangen wird – im Gedenken an den Gründer der ersten öffentlichen Stadtbibliothek in Deutschland (1833), an Karl Preusker aus Zwickau. In den neunziger Jahren hat die Herzogin Anna Amalia Bibliothek aus Anlass dieses Doppelereignisses fast immer eine spezielle Veranstaltung angeboten, ein Konzert mit Schubert-Liedern etwa, eine Lesung von Siegfried Unseld oder einen Vortrag von Walter Jens im Rokokosaal.

    Der 24. Oktober 2004 ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben, weil der Brand der Bibliothek am 2. September erst wenige Wochen zurücklag. Schon in den ersten Tagen nach dem Unglück war uns klar, dass wir an diesem 24. Oktober etwas Besonderes organisieren müssten. Als der Bundespräsident den Stiftungspräsidenten Hellmut Seemann am 5. September anrief und zusagte, die Schirmherrschaft über die Spendenaktion der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu übernehmen, fragte ihn Hellmut Seemann auch gleich, ob er es einrichten könne, an einem möglichen Benefizkonzert in Berlin am 24. Oktober teilzunehmen. Der Bundespräsident versprachs, ohne sein Amt und seinen Terminkalender lange zu konsultieren.

    Für die anlaufende Unterstützungswelle war es wichtig, möglichst bald mit einer Veranstaltung in Berlin präsent zu sein. Die Staatskapelle Weimar stand für den Termin 24. Oktober zur Verfügung. Die Veranstaltung sollte auch dazu dienen, inhaltlich über das Brandunglück zu informieren. Dafür eine Form zu finden, war allerdings nicht leicht. Glücklicherweise konnte der findige Martin Kranz, der die Detailplanung übernommen hatte, Roger Willemsen dafür gewinnen, durch das Programm zu führen und verschiedene Personen zu interviewen, bevor die Musik begann.

    Roger Willemsen begrüßte um 20 Uhr charmant und informiert wie stets die ca. neunhundert Zuhörer und Ehrengäste und bat den Bundespräsidenten auf die Bühne. Horst Köhler warb um ein breites Engagement für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek und fügte auf seine typische Art hinzu: »Deutschland als Kulturnation ist etwas, was wir brauchen, um diese Zeit der Strukturveränderungen gut zu überstehen.« Als Willemsen ihn fragte, warum er – sehr ungewöhnlich – bereits am 5. September so spontan am Telefon die Zusage für diesen Abend gegeben habe, erntete er mit seiner Antwort einen großen Heiterkeitserfolg: »Ich wusste, dass dieser Abend frei war, denn es ist mein Hochzeitstag.« Frau Köhler, die ebenfalls anwesend war, bekam später einen großen Blumenstrauß für ihre freundliche Duldung der Prioritäten. Dann begann das Konzert der Staatskapelle mit der Sopranistin Marietta Zumbült und dem inzwischen verstorbenen großen Schauspieler Ulrich Mühe als Sprecher. Aufgeführt wurde Ludwig van Beethovens Musik zu Goethes Trauerspiel Egmont op. 84 und nach der Pause die Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92.

    Ein Jahr später, am Nachmittag des 24. Oktober 2005, fand bereits das Richtfest für das im Wiederaufbau begriffene Historische Bibliotheksgebäude statt. Fertiggestellt waren neben der Dachkonstruktion bereits auch die Schalung sowie die insgesamt 15 Gauben des Mansardgeschosses. Im Inneren des Gebäudes wies das durch Löschwasser völlig durchnässte Mauerwerk in einzelnen Abschnitten immer noch eine Feuchte bis zu 100 Prozent auf. Hier wurde mit auf rund 200 Grad erhitzten Heizstäben, die im Abstand von ca. 40 Zentimetern jeweils rund 1,5 Meter tief in den Mauern steckten, der Trocknungsprozess beschleunigt.

    Die Kulturstaatsministerin Christina Weiss, die entgegen der ursprünglichen Planung selber nach Weimar gekommen war, sagte in ihrer Rede auf dem Platz der Demokratie: »Wer Bücher liebt wie ich, vergisst die Bilder einer brennenden Bibliothek nie. Es ist kaum mehr als ein Jahr her, … noch ist der Schrecken nicht verflogen, da schwebt schon über neuem Dach der Richtkranz.« Noch war nicht abzusehen, ob der Fertigstellungstermin 24. Oktober 2007 eingehalten werden konnte.

    Der Architekt Walther Grunwald hatte damals in einer internen Arbeitsbesprechung gesagt, er werde froh sein, wenn er das Erdgeschoss und die beiden Ebenen des Rokokosaals sowie den Turm einige Tage vor der geplanten Eröffnung staubfrei übergeben könne. Für das restliche Haus sei dies nicht absehbar. Das hätte bedeutet, dass zu Anna Amalias Geburtstag 2007 allenfalls ein leeres Haus begehbar gewesen wäre. Erst im Dezember wurde der Zeitplan noch einmal überarbeitet und alles darangesetzt, den Termin zu halten und eine Bibliothek und nicht bloß ein Gebäude zu eröffnen.

    Dann konnte der große Wiedereröffnungstermin doch noch gehalten werden: Der Festakt am 24. Oktober 2007 fand um 11 Uhr in einem Festzelt auf der Reithaus-Wiese hinter der Bibliothek statt. 1200 geladene Gäste und fast eine Million Zuschauer der Live-Übertragung im Ersten Programm des Fernsehens verfolgten die Reden und das musikalische Programm der Staatskapelle Weimar. Die Rede des Bundespräsidenten zur Situation der Bibliotheken in Deutschland fand große Beachtung.

    Das Medienecho auf die Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war gewaltig: Fernsehsender, Rundfunkanstalten und Presse brachten nicht nur Agenturmeldungen, sondern zahlreiche Originalbeiträge. Hervorzuheben ist eine 26–seitige Sonderbeilage der Welt, die der Bibliothek zusätzlich eine sechsstellige Spende aus Anzeigeneinnahmen einbrachte. Auch die Zeitungsgruppe Thüringen brachte eine 20–seitige Sonderbeilage. Der Deutschlandfunk sendete in seiner poltischen Hauptnachrichtensendung einen Kommentar zur Wiederöffnung der Bibliothek, der Fernsehsender Arte strahlte zur besten Sendezeit am Abend eine 50–minütige Dokumentation über die »Buchretter von Weimar« aus, die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte das Ereignis am 25. Oktober auf ihrer Titelseite. Am 268. Geburtstag von Anna Amalia in ihrem 200. Todesjahr stand die Weimarer Bibliothek für einen kurzen geschichtlichen Moment im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

    Michael Knoche