Abschied 2016 (Foto: Welz, Klassik Stiftung Weimar)

Blogartikel

‹ alle Blogartikel anzeigen

Aktuelle Einträge

  • 04. März 2019 — Bitte nicht komplett in Schwarz – der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln vor zehn Jahren

    Das eingestürzte Stadtarchiv Köln 1 (Fotos: Michael Knoche CC BY-SA 3.0 DE)

    8 Bilder ›

    Als am 3. März vor zehn Jahren das Kölner Stadtarchiv eingestürzt war, lud mich der WDR zu einer Fernsehdiskussion nach Köln ein. Man glaubte, dass ich beim Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek einschlägige Katstrophenerfahrungen gesammelt hätte und etwas Einsichtiges auch zum Kölner Unglück sagen könnte. In der neunzigminütigen Talk-Sendung west.art am sonntag sollte ich u.a. auf Bettina Schmidt-Czaia, die Direktorin des betroffenen Archivs, treffen. Da ich sowieso vor Ort erfahren wollte, wie die Herzogin Anna Amalia Bibliothek mit ihren Restauratoren helfen könnte, habe ich gerne zugesagt.

    Fast hätte ich es bereut, als mir die Produktionsfirma noch eine »Kostümempfehlung« hinterhersandte, in der Dinge standen wie: »Bitte kein rein weißes oder cremefarbenes Outfit. Bitte keine kleinen Musterungen wie Pepita, Karo oder schmal gestreifte Stoffe. Bitte nicht komplett in Schwarz, da das Set schon sehr dunkel ist.« Die Gefahr, dass ich auf die Idee kommen könnte, einen schwarzen Anzug zu tragen, war tatsächlich gegeben. Denn die Lage war ernst: Nicht nur das Gebäude des Historischen Archivs mit nicht weniger als 27 laufenden Kilometern Archivalien war im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen für die künftige U-Bahn eingestürzt. Auch zwei benachbarte Wohngebäude waren mit in den Abgrund gesunken, und dabei haben zwei Menschen ihr Leben verloren.

    Ich habe in der Sendung von einer »Heimsuchung von biblischem Ausmaß« gesprochen. Beim Einsturz des Stadtarchivs seien unwiederbringliche Unikate aus tausend Jahre Geschichte in den »Höllenschlund« gerutscht. Vielleicht war die Wortwahl unter dem Eindruck des Unglücks etwas zu dramatisch gewählt. Aber nach dem Elbe-Hochwasser in Dresden 2002 und dem Brand der Weimarer Bibliothek 2004 schienen sich solche Unglücksfälle wie in einer Kettenreaktion zu ereignen. Innerhalb von sieben schrecklichen Jahren ist die schriftliche Überlieferung in Deutschland um wertvolles Kulturgut dezimiert worden. Das versetzte mich sozusagen in einen Kassandra-Modus.

    Ich hatte die beiden Tage vor der Sendung – es war Tag 10 nach dem Einsturz – zunächst nutzen können, um das Erstversorgungszentrum für das geborgene Archivgut in einem ehemaligen Möbelhaus in Köln-Porz zu besichtigen. Dort, wo Hunderte von Helfern zusammenarbeiteten, gab es schon einen durchorganisierten Workflow zur Bearbeitung des per LKW angelieferten Materials.

    Noch mehr beeindruckte mich die Besichtigung der Unglücksstelle in der Innenstadt zusammen mit dem Kölner Kulturdezernenten Georg Quander. Am weiträumig abgesperrten Ort des eingestürzten Archivs kletterten immer noch Männer in Schutzkleidung der Kölner Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks auf den hoch aufgetürmten Berg aus Betonteilen, Stahlträgern, Schutt und Archivalien, um Gegenstände einzusammeln, die wie Archivgut aussahen.

    In einem benachbarten geräumten Schulgebäude nahe des Unglücksorts fand anschließend eine Pressekonferenz statt. Ich wurde unter anderem nach den Unterschieden zwischen dem Weimarer und Kölner Desaster gefragt. Was ich damals gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Laut Kölner Stadtanzeiger soll ich mich auch zum Wetter geäußert haben: die Helfer hätten nach dem Brand der Anna Amalia Bibliothek Glück mit dem Wetter gehabt, denn »damals herrschte strahlender Sonnenschein.« Das klingt ein bisschen abstrus, war aber nicht ganz unwichtig, denn als der Kölner Schuttberg noch kein Schutzdach hatte, regnete es immer wieder auf das noch nicht geborgene Archivmaterial.

    Heute würde ich die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten folgendermaßen auf den Punkt bringen:

    • Es ging in Weimar nicht um Menschenleben, sondern ausschließlich um Kulturgut.
    • In Köln hat die weitaus schlimmere und quantitativ größere Katastrophe stattgefunden (die zehnfache Menge des Schriftguts ist gefährdet oder verloren).
    • In Köln waren überwiegend Akten, Urkunden, Nachlässe usw., d.h. Unikate, betroffen, in Weimar überwiegend Druckschriften, die manchmal allerdings auch Unikatcharakter und stets einen Ensemblewert und eine besondere Provenienzgeschichte hatten.
    • Die wassergeschädigten Bücher von Weimar konnten binnen 48 Stunden ins Tiefkühlhaus gebracht und eingefroren werden. Die Bergung der Bestände verlief unvergleichlich schneller, als dies in Köln möglich war, eine wichtige Voraussetzung für die spätere Restaurierung.

    Warum war die Spendenkampagne in Weimar erfolgreicher als in Köln?

    • Weimar wird eher als Köln als gesamtdeutsche Kulturstadt wahrgenommen, für die sich Bürger aus allen Teilen des Landes und darüber hinaus engagieren.
    • Der stark in Mitleidenschaft gezogene Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war kulturgeschichtlich bedeutender und im Bewusstsein vieler Menschen stärker verankert als der Kölner Archivzweckbau. Schon vor dem Brand kamen jedes Jahr mehr als 10.000 Touristen die Bibliothek.
    • Eine brennende Bibliothek hat höhere theatralische Qualität als ein Gebäude, das sekundenschnell in ein Loch rutscht.
    • Die Stadtverwaltung Köln mit seinem Klüngel-Image genoss weniger Vertrauen als die Klassik Stiftung Weimar, die Trägerin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.
    • Die Stadtverwaltung Köln hat kein gutes Katastrophenmanagement betrieben. So durften städtische Angestellte, auch wenn es sich um auskunftsfähige Fachleute handelte, in der ersten Phase oft nicht mit der Presse sprechen. Die Öffentlichkeit hatte keinen Ansprechpartner.
    • Die vom Rat der Stadt Köln gegründete Stiftung StadtGedächtnis, die eine finanzielle Unterstützung in unglaublichen Dimension einsammeln sollte, hat nicht immer glücklich operiert.

    Die gute Nachricht lautet: Das neue Gebäude des Historischen Archivs soll Ende 2020 funktionsfähig sein.

    Mein Erlebnisbericht in der Süddeutschen Zeitung vom 19.3.2009

    Pressemitteilung der Stadt Köln zum aktuellen Sachstand

    Download

    Michael Knoche